Gekommen, um zu bleiben: Gastarbeiter für die wachsende Metropole

Im U-Bahn- genau wie im Bus-Bereich: Mit der Mobilitätswende wächst das HOCHBAHN-Angebot in Hamburg aktuell deutlich und wird es auch in den kommenden Jahren weiter tun (der Bau der U5, die U4-Verlängerung und der Neubau des ZOB Harburg sind wohl nur die bekanntesten Beispiele). Damit einher geht ein immer größerer Bedarf an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – und auf einem umkämpften Arbeitsmarkt auch die Notwendigkeit nach neuen Wegen, um diese für sich zu gewinnen. In gewisser Weise erlebt die HOCHBAHN damit ein Déjà-vu: In den 1950er Jahren stand das Unternehmen schon einmal vor der Herausforderung eines schnell wachsenden Personalbedarfs. Und hat sie erfolgreich gemeistert – mit dem Anwerben von Gastarbeitern. Aber fangen wir vorne an… 

Nachdem in Hamburg der Wiederaufbau zerstörter Gebäude in den 1950er Jahren abgeschlossen wird und mit dem Hafen auch die Gesamtwirtschaft wieder in Schwung kommt, blicken die Menschen wieder positiv nach vorne. Im sogenannten Wirtschaftswunder blüht Hamburg auf, das Leben gewinnt Unbeschwertheit zurück und die Stadt wächst stetig: 1950 leben etwa 1,6 Millionen Menschen an der Elbe, zehn Jahre später sind es bereits fast 1,8 Millionen. Deswegen ist der Wohnungsbau der vorherrschende Aspekt bei der Stadtplanung, es entstehen die drei Großwohnsiedlungen Steilshoop, Billstedt Osdorfer Born, ganz in der zeitgenössischen Wahrnehmung ausgelegt auf den Individualverkehr ohne Schnellbahnanbindungen. Auch in der restlichen Stadt werden die Straßen ausgebaut und dem Autoverkehr mehr Platz eingeräumt. Gewissermaßen als Gegenstück zu den Großwohnsiedlung entsteht am Stadtpark die City Nord. Die ganze Stadt verändert ihr Gesicht und wird wesentlich modernisiert – das gilt auch für den ÖPNV. 

Mehr U-Bahn und Bus für die wachsende Stadt 

Der Senat setzt die „Kommission für Verkehrsfragen“ ein, um ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept für die Hansestadt zu erarbeiten. Dem ÖPNV kommt dabei eine entscheidende und neu definierte Rolle zu: Auf den wichtigen Verkehrsachsen sorgen U-Bahnen für direkte und zuverlässige Verbindungen in die Innenstadt. In der Fläche übernehmen Busse die Verkehrserschließung und erfüllen gleichzeitig die Zubringerfunktion zu den Schnellbahnen. Die Straßenbahnen, die auf den von Autos verstopften Straßen immer schlechter vorankommt, wird, so vom Senat entschieden, hingegen streckenweise eingestellt und durch flexible Busse ersetzt. 

Um diese Funktion für die größer werdende Stadt flächendeckend effizient erfüllen zu können, sollen sowohl das U-Bahn- als auch das Bus-Netz deutlich ausgebaut werden. Die U-Bahn wird ihre Streckenlänge bis in die 1970er Jahre auf 100 Kilometer verdoppeln und ab 1950 wächst das Netz der HOCHBAHN-Busse von 160 auf 410 Kilometer an, gleichzeitig wird der Fuhrpark von 155 Bussen auf 447 Fahrzeuge aufgestockt.  

Fahrer gesucht – nur wo? 

Für diese ÖPNV-Expansion wird dringend Fahrpersonal benötigt – das zu finden wird für die HOCHBAHN allerdings zur Herausforderung. Denn die blühende Wirtschaft lockt viele Busfahrer trotz des sicheren Arbeitsplatzes bei der HOCHBAHN in die Privatwirtschaft, die besser bezahlt. Alleine in den Jahren 1964 und 1965 verlassen fast 1.500 Beschäftigte die HOCHBAHN, deren Mitarbeiterzahl auf etwa 5.590 sinkt. Um diese Lücken zu schließen, setzt die HOCHBAHN zum einen auf öffentlichkeitswirksame Werbung mit großen Veranstaltungen auf dem Heiligengeistfeld, wo Interessierte sich sogar gleich hinters Bus-Steuer setzen können. Zum anderen sucht die HOCHBAHN im Ausland nach Gastarbeitern. Erleichtert wird das durch die Anwerbeabkommen, welche die Bundesrepublik Deutschland mit verschiedenen Ländern geschlossen hat. 1955 wird ein erster Vertrag zur Anwerbung von Gastarbeitern mit Italien geschlossen und zwischen 1960 und 1968 folgen weitere Vereinbarungen mit Griechenland, Spanien, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. 

In den 1970er Jahren lernten die Gastarbeiter deutsch in der Busfahrschule.
Deutschunterricht für Gastarbeiter in der Busfahrschule Anfang der 1970er Jahre. (Busfahrschule März 1971 Langenfelde)

Gastarbeiter aus Jugoslawien werden von der HOCHBAHN besonders umworben, kommen sie doch aus einem zwar sozialistisch ausgerichteten, aber blockfreien Staat mit einem guten Schul- und Bildungssystem. Und für die Bewerbungs- und Einstellungsverfahren konnte auf besonders hilfreiche Angestellte zurückgegriffen werden: Das HOCHBAHN-Ehepaar Beljin. Rosalind Beljin wächst als Deutsche in Jugoslawien auf, bevor sie später bei der HOCHBAHN als Haltestellenschaffnerin und Weichenstellerin arbeitet. Dragan Beljin folgt seiner Frau nach Deutschland und wird Zugfahrer bei der HOCHBAHN. Keine Frage, dass beide mit ihren Sprach- und Landeskenntnissen tatkräftig beim Dolmetschen und dem Übersetzen diverser Unterlagen wie der Straßenverkehrsordnung, Fahrschulunterlagen und Prüfungsbögen unterstützen. Für Bewerbungsgespräche reisen die Beljins zusammen mit Fahrlehrern auch direkt nach Jugoslawien. Andere Gastarbeiter sind bereits in Deutschland und wechseln aus der Fabrikation zur HOCHBAHN. Alleine zwischen 1969 und 1974 bildet die HOCHBAHN mit Unterstützung des Ehepaars Beljin mehr als 500 Fahrschüler aus Jugoslawien aus. Ab 1975 wirbt die HOCHBAHN auch in weiteren Ländern um neue Gastarbeiter, allerdings unter veränderten Bedingungen, denn nun werden Sprachkenntnisse und ein Führerschein vorausgesetzt und nur noch für den Personentransport geschult.  

Kolleg*innen aus Jugoslawien bei ihrer Einarbeitung.
Angehende Kolleginnen aus Jugoslawien beim Unterricht am Lehrstellwerk in der U-Bahnfahrschule, 1973.

HOCHBAHN-Leben 

Für alle neuen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter stellt die Sprache die größte Herausforderung dar. Anfangs haben das Dolmetschen und die Übersetzungen der Eheleute Beljin beim Ankommen und dem Berufseinstieg sicherlich gut geholfen und die Gastarbeiter aus Jugoslawien abgeholt. Doch bleibt die Herausforderung Sprache natürlich auch im Alltag bestehen.  Umso wichtiger sind die Kolleginnen und Kollegen auf den jeweiligen Betriebshöfen, die ganz praktisch und selbstverständlich die Neuen aufnahmen und damit eine unverzichtbare Hilfe beim Ankommen und dem täglichen Miteinander sind.  

Nicht einfach gestaltet sich auch die Wohnungssuche in Hamburg, wo zwar viel gebaut wird, Wohnraum aber noch immer nicht leicht zu bekommen ist. Um hier aktiv zu unterstützen, richtet die HOCHBAHN in der Nähe der Betriebshöfe Wohnheimplätze ein – 1972 sind 192 von 226 Zimmern in Wohnheimen an Arbeitsmigranten vergeben. Zusätzlich bemüht sich die Hanseatische Siedlungs-Gesellschaft HSG, weiteren Wohnraum zu schaffen, etwa an der Walddörfer- und der Kedenburgstraße, wo es jeweils 97 Einheiten gibt, sowie 60 HOCHBAHN-Wohnungen in der Brodersenstraße, alle in der Nähe des Busbetriebshofs Wandsbek. Vergleichbare Wohnungen gibt es auch an anderen Betriebshöfen, sie alle haben einen großen Vorteil: Nicht nur, dass die Mieten preiswert sind, dort werden aus den Arbeitskollegen dann erst Nachbarn und bald Freunde. 

Gastarbeiter wurden auch als Haltestellenwärter eingesetzt.
Während der Semesterferien arbeitet Student Rani aus Afghanistan als Haltestellenwärter, 1970.

Gekommen, um zu bleiben 

Im Zuge der Ölkrise verhängt die Bundesregierung 1973 dann den sogenannten Anwerbestopp, um den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte zu beenden. Zugleich holt die Lebenswirklichkeit die ursprüngliche Idee ein, dass die damals Gastarbeiter genannten Menschen nur für ein paar Jahre in Deutschland bleiben und arbeiten würden. Immer mehr Familienangehörige werden nachgeholt und bereichern das persönliche Leben der Menschen ebenso wie die ganze Gesellschaft. So werden aus den Fahrschülern von einst Familien mit Wurzeln in Hamburg und bei der HOCHBAHN – nicht selten ist das der Anfang von einer generationenlangen Verbundenheit mit dem Arbeitgeber HOCHBAHN.

Heute arbeiten Menschen aus 77 Nationen bei der HOCHBAHN, die Hamburg in Bewegung halten, aber auch die HOCHBAHN selbst bereichern und vielfältiger machen. 


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