U3-Ringschluss – Mobilitätswende anno 1912

Am 29. Juni 1912 war es so weit: Das vierte und damit letzte Teilstück der Ringlinie U3 ging in Betrieb und die Fahrgäste konnten die erste U-Bahn-Linie Hamburgs auf dem kompletten Ring befahren. Doch die U3 war von Anfang an mehr als nur ein reines Fortbewegungsmittel, um von A nach B zu kommen. Das hochmoderne Verkehrssystem entsprach den Bedürfnissen der sich schnell verändernden Stadt, war dabei gezielt vernetzt und gleichzeitig auf künftiges Wachstum ausgelegt – die U-Bahn brachte für die Stadt, vor allem aber für die Hamburger*innen, also eine echte Mobilitätswende.

Natürlich wurde bereits vor dem U3-Ringschluss am 15. Februar 1912 gefeiert, als das erste Teilstück den Betrieb aufnahm. Senatoren, Ingenieure, Bürgerschaftsabgeordnete und Vertreter der beteiligen Baufirmen und der neuen Betreibergesellschaft, der Hamburger Hochbahn AG, kamen zusammen und starteten an der Haltestelle Rathausmarkt mit einer ausführlichen Eröffnungsfahrt. Und da gab es einiges zu bestaunen: Immerhin war seit 1906 eine U-Bahn entstanden, die in Tunneln und auf Viadukten fuhr, Brücken überquerte, mit ihren 23 Haltestellen architektonische Akzente setzte und mit Unterwerken und einem eigenen Kraftwerk zur Stromversorgung sowie der U-Bahn-Werkstatt schlicht hightech war.

Die Stadt wandelt sich, der Stadtverkehr kaum

Gebaut worden war die Ringlinie natürlich für die Hamburger*innen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert legte die Hansestadt kontinuierlich zu, an Bewohner*innen und an Fläche. Während bis dato viele Wohnviertel direkt in der Innenstadt und damit nahe am Hafen und den umliegenden Industrien und Gewerbebetrieben lagen, in denen zehntausende Menschen arbeiteten, veränderte sich die alte Stadt- und Wohnstruktur nun tiefgreifend. Der Hafen wurde ausgebaut, neue Industrien siedelten sich an und die Speicherstadt wurde stetig erweitert, wodurch die Gängeviertel weichen mussten, die vormals Lebensmittelpunkt tausender Hamburger*innen waren. Die neuen Wohnviertel, vor allem für die Arbeiter, entstanden in ehemaligen Vorstädten wie Barmbek und Eimsbüttel, die beide 1894 Teil Hamburgs wurden. Das Problem dabei war nun die große Distanz, die zwischen dem Wohnort und der Arbeitsstätte lag. Statt des kurzen Weges aus den Gängeviertel an die Elbe, standen nun stundenlange Fußmärsche an, die vor allem die einfachen Arbeiter und Tagelöhner auf sich nehmen mussten.

Das Angebot von Stadt- und Vorortbahn, den Pferde- und Straßenbahnen auf diversen Linien sowie den Alsterdampfern war zwar recht gut. Allerdings war diese Verkehrsstruktur auf kurze Distanzen ausgelegt und die Kapazitäten reichten für den steigenden Bedarf und die längeren Strecken in der wachsenden Stadt nicht aus. Auch wenn sich Straßenbahnen technisch weiterentwickelten und um 1922 auch die letzte Pferdebahn-Linie durch eine elektrische Straßenbahn ersetzt wurde, fehlte Hamburg schon um 1900 ein schnelles und leistungsfähiges Verkehrsmittel.

Pferdebahn in Hamburg
Eine der letzten Pferdebahnen, 1922

Der U3-Ringschluss bringt die (erste) Mobilitätswende

Der Bau der U3 begann 1906 in Hohenfelde und wurde sechs Jahre später abgeschlossen. Stück für Stück wurde dann die erste U-Bahn Hamburgs in Betrieb genommen: am 15. Februar 1912 der Abschnitt Barmbek – Rathausmarkt. Nach der Einweihungsfahrt durften ihn zunächst Schulklassen und Vereine zwei Wochen kostenlos nutzen, um das neue Verkehrsmittel U-Bahn ausgiebig kennenzulernen und auszuprobieren, bevor am 1. März 1912 dann der fahrplanmäßige Betrieb losging. Egal, wie das Hamburger Wetter sich gab, der Fünf- oder Zehn-Minutentakt wurde eingehalten und die Fahrgäste erreichten verlässlich ihr Ziel. Und das auch noch zu vergleichsweise günstigen Fahrpreisen: Fahrten bis zu 5 Haltestellen kosteten 10 Pfennig (etwa einen Euro) in der dritten Klasse und 15 Pfennig in der zweiten. Die nächsten fünf Haltestellen waren wiederum jeweils 5 Pfennig teurer, zusätzlich gab es schon damals verbilligte Vierteljahreskarten und Wochenkarten für Frühfahrer*innen, um möglichst vielen potenziellen Fahrgästen die preiswerte Nutzung zu ermöglichen. Damit hatte die U-Bahn eine wichtige Funktion bereits mit der Inbetriebnahme des ersten Teilstücks erfüllt: Sie war von Anfang an ein Verkehrsmittel für alle Hamburger*innen, nicht zuletzt, weil auf den Bahnsteigen die Bürger*innen gleich neben den Arbeiter*innen standen und alle zusammen auf dieselbe U-Bahn warteten.

Nachdem am 10. Mai die Teilstrecke Barmbek – Kellinghusenstraße und am 25. Mai der Abschnitt zwischen Kellinghusenstraße und Millerntor (heute St. Pauli) eröffnete, wurde der Ring am 29. Juni 1912 mit der Inbetriebnahme des letzten Teils zwischen Millerntor und Rathausmarkt endlich geschlossen und war nun vollständig nutzbar.

U3-Ringschluss: Haltestelle St. Pauli, 1913
Fahrgäste verlassen die Haltestelle Millerntor (heute St. Pauli), 1913

U3 schafft Verknüpfungen im Netz

Jetzt brauchte man von Barmbek zu den Landungsbrücken nur noch 21 Minuten und für tausende Arbeiter*innen fiel der beschwerliche Fußmarsch weg. Damit hatte die U-Bahn eine weitere wesentliche Funktion erfüllt: Sie verband die weit entfernten Stadtteile miteinander und sorgte mit dafür, dass die Menschen mobiler wurden.

Und noch etwas kam hinzu: An vielen U-Bahn-Haltestellen war das Umsteigen in die verschiedenen Straßenbahnlinien möglich. Auch wenn dafür, je nach Betreibergesellschaft, noch eine weitere Fahrkarte gekauft werden musste, waren dies wichtige Verknüpfungen, um die Verkehre zu kombinieren und sie effizienter nutzbar zu machen. Besonders deutlich wird dies an den großen Knotenpunkten wie den Landungsbrücken, wo die U-Bahn auf Straßenbahnlinien und die Barkassen traf.

Landungsbrücken, 1910
An den St. Pauli Landungsbrücken entstand einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte (Bild von 1910)

Oder etwa am Hauptbahnhof mit den Fernzügen und am Berliner Tor und in Barmbek mit der Stadt- und Vorortbahn. Hier erfüllte die U-Bahn mit den Umsteigemöglichkeiten eine weitere Funktion, in dem sie die Vernetzung des Stadtverkehrs von vornherein berücksichtigte und vorantrieb.

Die Zukunft im Blick

Tatsächlich war die Ringlinie nur der Anfang. Denn die Planer hatten von Anfang an auch die Zukunft im Blick. Und das doppelt: Mit den Zweiglinien nach Rothenburgsort (1915) und Eimsbüttel (1914) wurden dicht bewohnte Stadtviertel an die U-Bahn angeschlossen. Die 1914 eröffnete Linie Kellinghusenstraße – Ohlsdorf hingegen band vor allem Gebiete an, die dünn besiedelt und eben noch nicht großstädtisch strukturiert waren, wo aber Wachstum erwartet wurde und politisch gewünscht war. Diesen Prozess sollte die U-Bahn als modernes und zuverlässiges Verkehrsmittel beschleunigen. In den nächsten Jahren kamen dann noch die Walddörferbahn, die Langenhorner Bahn und die Linie Kellinghusenstraße – Jungfernstieg dazu.

Besonders ab den 1950er Jahren wurde das U-Bahn-Netz stetig weiter ausgebaut und entwickelte sich mit der Stadt und dem Mobilitätsbedürfnis der Hamburger*innen weiter. Mit der U4 in die HafenCity kehrte die U-Bahn in das Hafengebiet und damit gewissermaßen zu ihren Wurzeln zurück.

1912 passierte in Hamburg also weit mehr als „nur“ die Einführung eines neuen Verkehrsmittels. Die Stadt und ihre Bewohner*innen bekamen mit der U-Bahn ein modernes, zuverlässiges, schnelles und vernetztes System, das eine echte (erste) Mobilitätswende mit sich brachte.


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3 Kommentare zu: U3-Ringschluss – Mobilitätswende anno 1912

  1. @SB Das sieht die Hamburger Verkehrspolitik aber völlig anders 😉 Alle Bahnverbindungen müssen zwangsläufig über die Innenstadt/Hauptbahnhof gezogen werden – weil sämtliche Verkehrsströme gestern und auch heute noch so funktionieren … Natürlich auch die U5. Klar. Das führt dazu, dass wir hier etwa im Nordwesten (Bönningstedt) quasi parallel der Start- und Landebahn wohnen – mit dem PKW etwa 15 Min. zum Terminal benötigen – aber mit dem HVV ganze 59 Min. fahren (natürlich alles über Hbf.). Anders sieht es auch nicht mit Querverbindungen nach Poppenbüttel oder Volksdorf aus. Aber – s.o. – wer braucht in Hamburg schon Querverbindungen. Im Übrigen wären das gute Verbindungen für eine Tram – aber das ist ein anderes Thema (BVG: „(…) Nicht ohne Grund setzen die meisten Metropolen der Welt mittlerweile verstärkt auf den Ausbau der Straßenbahn: Sie sind umweltfreundlich (…). Unschlagbar ist die Tram auch in Berlin durch ihre Ökobilanz. (…)“ -> Das sind aber die Berliner Genossen und Grünen. Da sind die Hamburger Grünen und die SPD weiter.) Immerhin wird in diesem Artikel die Tram in Hamburg erwähnt und nicht – wie z.B. in früheren Werbeplakaten zum Hochbahnjubiläum -einfach herausretuchiert als eines der ältesten und größten deutschen Straßenbahnnetze.

    1. Da geht es mir, wohnhaft in Niendorf, recht ähnlich.
      Ich kann zwar einerseits die Begründung der U5 nachvollziehen, die M5 und M6 sind zur HVZ eine Katastrophe, aber warum ich zu meiner Familie in Volksdorf und Farmsen erst zum HBF fahren soll erschliesst sich mir nicht.
      Auch wenn ich nicht unbedingt ein Anhänger der Tram bin, wäre diese in den Aussenbezirken aber eventuell sinnvoll, beispielsweise auf dem Ring 3, als nördliche Tangente

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