Walddörferbahn Hamburg

U-Bahn-Bau vor 100 Jahren: Die Walddörferbahn

Mit der Ringlinie (heute U3) hatte Hamburg nach Berlin als zweite Stadt in Deutschland zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine U-Bahn erhalten. Damit wurde die Innenstadt gut erreichbar und die Zweiglinien nach Eimsbüttel und Rothenburgsort sollten zusätzlich die dicht besiedelten Arbeiterquartiere daran anschließen. Eine weitere Verbindung nach Ohlsdorf führte dagegen durch noch dünn besiedeltes Gebiet. Hier wurde weniger aus verkehrlicher Notwendigkeit, denn aus stadtplanerischer Weitsicht geplant und gebaut. Schließlich wuchs das Hamburger Stadtgebiet auch damals schon.


Haamburg U-Bahn-Plan und Ausbau 1912
U-Bahn-Plan Ringlinie und die Planungen der Zweiglinien, 1912

Die Walddörfer – Ein Stück Hamburg in Preußen

Daneben gab es schon früh U-Bahn-Planungen, bei denen auch staatspolitische Überlegungen eine Rolle spielten. So bat Carl Hagenbeck darum, die Zweiglinie nach Eimsbüttel über die Endhaltestelle Hellkamp hinaus zu verlängern, um seinen im Mai 1907 eröffneten Tierpark mit der U-Bahn erreichbar zu machen.
Keine schlechte Idee eigentlich, doch wenige hundert Meter hinter der Haltestelle endete Hamburg, während der Tierpark im preußischen Stellingen lag. Und da zu dieser Zeit bereits eine Straßenbahn zum Tierpark fuhr, gab es in Sachen U-Bahn nicht einmal ernsthafte Gespräche.

Anders dagegen verlief es am anderen Ende Hamburgs, in den Walddörfern.  Seit dem Mittelalter gehörten die Gemeinden Großhansdorf/Schmalenbeck, Farmsen/Berne, Volksdorf, Wohldorf/Ohlstedt zwar schon zu Hamburg, lagen aber etwas ab vom Schuss als Exklaven in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Um die politische Zugehörigkeit der Walddörfer jedoch ein für alle Mal zu manifestieren, setzte der Hamburgische Senat auf eine moderne Verkehrsanbindung der Walddörfer. Diese sollten schlichtweg näher an die Stadt heran wachsen.


Der Weg zur U-Bahn

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Fahrt aus den Walddörfern nach Hamburg ziemlich umständlich. Seit 1898 gab es erste Bestrebungen, eine Straßenbahnverbindung einzurichten, die dann aber doch aus betriebswirtschaftlichen Gründen abgelehnt wurde. 1904 wurde schließlich eine straßenbahnähnliche Verbindung zwischen Volksdorf und Alt-Rahlstedt eingerichtet. Von hier aus war die Weiterfahrt nach Hamburg möglich.

Diese Bahn kam so gut an, dass sie schließlich verlängert wurde, so dass ab Mai 1907 auf der Strecke Alt-Rahlstedt – Volksdorf – Ohlstedt – Wohldorf regelmäßig eine Kleinbahn fuhr. Als nun aber auch Farmsen und Großhansdorf eine Verkehrsanbindung forderten und andernorts ebenfalls wild geplant wurde, schritt der Hamburgische Senat ein. Er wollte weitere Insellösungen und einen größeren Straßen- und Kleinbahn-Flickenteppich verhindern und bemühte sich, eine einheitliche Verkehrsanbindung für die Walddörfer zu schaffen. Die Lösung: die U-Bahn, deren Ring und Zweiglinien ja schon gebaut wurden.

So begannen im April 1911 die Verhandlungen mit Preußen, die am 8. Mai 1912 mit der Unterzeichnung eines Staatsvertrages erfolgreich beendet wurden: Hamburg durfte eine U-Bahn in die Walddörfer bauen.

Walddörferbahn Arbeiter
Montagezug für die Waldörferbahn an der Haltestelle Barmbek, 1915

Mit Dampf geht es los

Mit dem Bau wurde umgehend begonnen. Gleise, Streckeninfrastruktur und die Haltestellen mussten neu gebaut werden. In Barmbek wurde die Walddörferbahn außerdem an die Ringlinie angebunden, die Haltestelle dafür um einen dritten Bahnsteig und damit um ein fünftes Gleis erweitert.

Allerdings gerieten die weiteren Bauarbeiten völlig durcheinander, als die Großmächte Europas vermeintlich überraschend in den Ersten Weltkrieg „hineinstolperten“. Obwohl bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges zwar ein Großteil der Strecke schon fertiggestellt war, verzögerte sich der Weiterbau wegen des kriegsbedingten Materialmangels erheblich.

Weil die elektrische Ausrüstung der Strecke noch fehlte, einige Haltestellen noch gar nicht gebaut waren und es auch keine Triebwagen gab, wurde erst am 12. September 1918 ein provisorischer Betrieb aufgenommen. Möglich war dies nur durch zwei im Krieg erbeutete belgische Dampflokomotiven, die dafür an die umgebauten U-Bahn-Wagen gekuppelt wurden.

Walddörferbahn im provisorischen Dampflok-Betrieb, 1918

Stillstand nach dem Krieg

Als die beiden Dampflokomotiven nach Kriegsende im Zuge der Reparationen zurückgegeben werden mussten, stand die Walddörferbahn ab dem 22.5.1919 erst einmal still. In den Nachkriegswirren wurde die Fertigstellung der Walddörferbahn jedoch weiterverfolgt. Schrittweise folgte nun die Elektrifizierung, so dass ab dem 6.9.1920 ein eingleisiger, elektrischer Betrieb zwischen Barmbek und Volksdorf aufgenommen werden konnte. Ab November 1921 eröffnete der Streckenabschnitt zwischen Volksdorf und Groß-Hansdorf, bevor ab Anfang Februar 1925 dann auch die Strecke von Volksdorf nach Ohlstedt elektrisch befahren werden konnte.

Der Bau der Walddörferbahn ist also mehr als nur ein „einfacher“ U-Bahn-Anschluss. Politische Verhandlungen mit den Nachbarn, stadtplanerische Überlegungen zur Entwicklung Hamburgs und die Verkehrserschließung vorhandener Wohnquartiere und nicht zuletzt lokale Interessen vor Ort, spielten hier ebenso eine Rolle wie, wenn auch nur mittelbar, der Einfluss der Weltpolitik. Eben diese Mischung macht die Walddörferbahn besonders spannend – und natürlich auch, weil sie die Grundlage für die U1 geliefert hat, wie wir sie heute kennen. Aber dazu ein anderes Mal mehr.


Über den Autor: Moin! Ich bin Daniel und für Historisches bei der HOCHBAHN zuständig. Nachdem ich mit meinem Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte fertig war, ging es vor über 10 Jahren direkt zur HOCHBAHN. Hier habe ich die History-Marketing-Kampagne zum 100-jährigen Jubiläum der U-Bahn mitgestaltet und das historische Archiv aufgebaut habe – eine tolle Möglichkeit, das Unternehmen zu erforschen, Hamburgs Geschichte zu erzählen und das modern zu kommunizieren. Ab sofort gibt es von mir also auch hier im Blog ab und an was von damals zu lesen. Ich wünsche Euch viel Spaß damit.

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14 Kommentare zu: U-Bahn-Bau vor 100 Jahren: Die Walddörferbahn

  1. Da Schöneberg und Charlottenburg vor 1920 eigenständige Städte waren, ist Hamburg erst die 3. Bzw 4. Stadt gewesen, die im damaligen deutschen Reich eine Hoch- und Untergrundbahn hatte.

  2. Vielen Dank für diesen interessanten Bericht. Erwähnenswert wäre vielleicht auch, dass im Gegenzug Preußen die Alstertalbahn (heutige S1, damals noch nicht alles auf HH-Stadtgebiet) über Hamburger Gebiet bauen durfte. Auch interessant: Der Großhansdorfer Ast wurde ursprünglich bis Beimoor gebaut, weil dort eine „Irrenanstalt“ und eine Rüstungsfabrik geplant waren. Die Bahnhofsruine und der Bahndamm und einige Widerlager sind noch zu sehen. Außerdem wurden zwischen Buchenkamp und Ahrensburg-West Bau-Vorbereitungen für einen nie gebauten Bahnhof „Wulfsdorf“ getätigt. Fährt man diese Strecke, so sind diese in Höhe der Brücke Bornkampsweg gut zu sehen.

    1. Moin Wolfgang, das ist richtig. Die beiden Aspekte habe ich nicht erwähnt, weil ich im Sinne der Lesefreundlichkeit die wichtigsten Entwicklungen möglichst kompakt darstellen wollte. Die vielen kleineren Geschichten, die es bei fast jedem Nahverkehrsprojekt gibt, sind natürlich spannend, aber einen Roman wollte ich dann eben auch nicht schreiben.

      1. Hallo Daniel, falls Du doch mal einen Roman hierüber schreiben würdest: Ich würde ihn kaufen und lesen 🙂

  3. Wäre noch zu ergänzen, dass die Walddörfer-Straßenbahn noch in den 1950er Jahren fuhr, und nur DIESE bezeichnete man in der Zeit noch als „Walddörferbahn“. Die Straßenbahn fuhr vom Bahnhof Ohlstedt nach Wohldorf mit einer Zwischenhaltestelle „Tanneneck“.

    1. Die Betrieb auf der Reststrecke vom U-Bahnhof Ohlstedt bis Wohldorf der Kleinbahn Alt-Rahlstedt-Volksdorf-Wohldorf/Ohlstedt wurde 1961 eingestellt. Ich (Jahrgang 1959) kann mich noch daran erinnern, mit meinen Eltern auf den Gleisen balanciert zu haben. Die Gleise wurden erst später abgebaut. In dem Bahnhofsgebäude der damaligen Endstation Wohldorf befindet sich heute ein Museum dieser Kleinbahn. Wer sich hierfür interessiert, sollte da unbedingt mal rein schauen. Kostet nur EURO 2,- Eintritt. Immer Sonntag von 13.00 bis 16.00 geöffnet.
      https://www.vvm-museumsbahn.de/ix/ix-start/ix-start.php?id=400

    2. Im Eingangsbereich der Haltestelle Saarlandstraße (ehemals Flurstraße bzw. Stadtpark) gibts am Aufgang noch den Hinweis Richtung Walddörferbahn. Stammt, soweit ich weiß, noch aus den späten 1920-er Jahren …

  4. Spannend – trotz politischem Flickenteppich, Krieg und Reparationen schaffte man es, innerhalb von etwa 15 Jahren ein ordentliches Stück Hochbahn zu bauen.
    Heute plant man gleich 20 Jahre für den Bau einer U5 ein, obwohl man die Stecke bereits vor 40 Jahren geplant hatte … und man wird es nicht einmal in dieser Zeit realisiert bekommen.

    1. Ich glaube wir sind uns einig, dass die Situation heute eine völlig andere ist. Die Stadt ist gewachsen, die U-Bahn kommt nach. Auch die politischen Rahmenbedingungen und Entscheidungswege sind inzwischen andere. Und bitte nicht vergessen: vergangene U-Bahn-Planungen lassen sich nicht einfach aus der Schublade holen, absegnen und dann wird gebaut. Wir sind dran und meine Kollegen geben Gas.

      1. Ja, die Zeit um den 1. Weltkrieg und auch noch danach unterscheidet sich deutlich von der heutigen Zeit. Allein der Kostenfaktor Arbeit war damals sehr gering, das teure war das Material und die Beschaffung. Heute ist die Arbeit das Teuerste.

      2. Zum Kommentar von Wolfgang: Das teuerste ist mittlerweile nicht mal mehr die Arbeit, sondern dass sehr viel rechtliche Aspekte berücksichtigt werden müssen, die letztlich die Kosten in die Höhe treiben.
        Wie bereits hier im Blog in einem anderen Artikel beschrieben wurde, haben die Beteiligungsverfahren einen erheblichen Einfluss auf die Planungen und stellen damit einen deutlichen Kostenfaktor dar, gerade in den daraus resultierenden Anpassungen in bautechnischer oder organisatorischer Art.

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