Bodenmarkierung "Fahrkartenpflichtiger Bereich"

Fahren ohne Fahrkarte: Muss Strafe sein – und wenn ja, welche?

„Die Fahrkarten bitte“ – vor Kurzem war wieder hvv Prüfmarathon. Fast 16 000 Menschen wurden an verschiedenen U-Bahn- und Busbahnhöfen kontrolliert. Auch dieses Mal dürfte einigen Menschen dabei das Herz in die Hose gerutscht sein, denn 4,6 % konnten keine gültige Fahrkarte vorweisen. Kein Problem für die, die sie nur auf dem Küchentisch haben liegen lassen: Sie können sie einfach in einer der hvv Servicestellen nachzeigen und für 7,00 € ist alles vergessen. Alle anderen müssen mit einem erhöhten Beförderungsentgelt von 60 € rechnen – und Wiederholungstäterinnen und -täter mit einer Strafanzeige bei der Polizei.

Foto der Hochbahn-Wache bei der Fahrscheinkontrolle
Der Prüfdienst der Hochbahn-Wache beim hvv Prüfmarathon

Beim Stichwort Strafanzeige würde ich gerne tiefer einsteigen: In den letzten Wochen hat nämlich die Debatte wieder Aufwind bekommen, ob die Strafanzeige wirklich verhältnismäßig wäre. Kritikerinnen und Kritiker sehen dann eine Entkriminalisierung: Statt als Straftat solle das Ganze als Ordnungswidrigkeit mit entsprechendem Bußgeld – wie etwa beim Falschparken – behandelt werden. Damit würde verhindert, dass Menschen zu einer Geldstrafe oder im Extremfall einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Denn heute ist das nach deutschem Strafgesetz (Paragraf 265a StGB, “Beförderungserschleichung”) grundsätzlich möglich. Harte Konsequenzen, die einige Menschen irritieren. Schauen wir uns also einmal an, was die HOCHBAHN dazu sagt – und welche Bedeutung der Straftatbestand in der Praxis hat. 

Warum die Fahrkarte so wichtig ist

Von vielen Menschen wird das Fahren ohne Fahrkarte immer noch als Kavaliersdelikt angesehen. Dabei ist es, spätestens wenn man sich die Sache genauer ansieht, alles andere als das. Allen voran aus drei Gründen: 

Offensichtlich sind zunächst wohl die wirtschaftlichen Gründe: Wir alle sind auf einen funktionierenden ÖPNV angewiesen – auf Züge, die rollen und Busse, die uns gut von A nach B bringen. Dafür braucht es natürlich Personal, das bezahlt werden will, und auch Diesel- und Stromkosten für Bussen und Bahnen auf rund 1 000 km Streckennetz schlagen zu Buche. Einnahmeausfälle durch Fahrten ohne Fahrkarte im hvv von 40 Mio. € reißen hier jährlich ein Loch in die Kasse. Und diese Ausfälle müssen entweder vom Staat – also von uns allen – oder von den anderen Fahrgästen getragen werden.

Und damit kommen wir direkt zum Punkt der Fairness gegenüber ehrlichen Fahrgästen. Denn während “Trittbrettfahrende” sich ohne Fahrkarte von A nach B bringen lassen, zahlen ehrliche Fahrgäste nicht nur ihr eigenes Ticket, sondern mit steigenden Fahrpreisen auch die Zeche für sie mit. 

Vor allem ist die Fahrkarte aber auch eine Sache des Respekts: Bei der HOCHBAHN arbeiten 6 000 Kolleginnen und Kollegen, um Hamburg unermüdlich in Bewegung zu halten – angefangen bei den Fahrerinnen und Fahrern, die Tag und Nacht für euch im Einsatz sind, über die Menschen in den Werkstätten, im Gleisbau bis hin zum Kundenservice und in so vielen Bereichen mehr. Sie alle haben es verdient, dass Fahrgäste den Preis für ihre Leistung zahlen.

Ehrlichkeit muss sich lohnen

Okay, okay, die Fahrkarte ist wichtig, denken sich einige jetzt vielleicht – aber braucht es für die, die sich ohne erwischen lassen, deshalb wirklich eine Strafanzeige? Tut das erhöhte Beförderungsentgelt nicht genug weh, damit sie beim nächsten Mal ehrlicher sind? 

Ganz so leicht ist es leider nicht, denn die Sache hat einen Haken, den ein Fahrgast auf dem HOCHBAHN X-Kanal gut zusammenfasst:

Deswegen kommt die Rechnung auch nicht hin. Ich zahle für mich und den Sohn 98€ pro Monat. Ich bin zweimal kontrolliert worden (seit es das 49€ Ticket gibt), der Sohn nicht öfter. Also, hätte ich ohne Ticket sehr viel Geld gespart. Das war schon so, als ich noch Teenager war.

Und das trifft die Sache auf den Kopf: Unehrliche Fahrgäste könnten dauerhaft ohne Fahrkarte fahren und sich, sobald sie erwischt werden, mit 60 Euro Vertragsstrafe und ggf. einem Bußgeld einfach und ohne weitere Konsequenzen freikaufen. Unterm Strich kämen sie damit womöglich günstiger davon, sprich: Fahren ohne Fahrkarte würde sich lohnen und die Ehrlichen würden den Kürzeren ziehen. 

Was also tun? Die Vertragsstrafe so weit erhöhen, dass die Rechnung für Dauer-Trittbrettfahrende nicht mehr aufgeht? Dann müsste man von jedem Fahrgast ohne gültige Fahrkarte statt derzeit 60 Euro mehrere Hundert Euro verlangen – eine harte Maßnahme, wenn man nur morgens einmal in Eile vergessen hat, eine Fahrkarte zu kaufen oder aus Versehen zu wenig bezahlt hat. Oder so oft und engmaschig kontrollieren, dass die 60 Euro sich schließlich zu hohen Vertragsstrafen aufsummieren? Dann würden Fahrgäste laufend auf ihren Wegen zum Zug oder weiter zur Arbeit aufgehalten – das würde das Bus- und Bahnfahren auf Dauer wohl alles andere als attraktiv machen. 

Wer aber mit einer Strafanzeige rechnen muss, an dessen Ende auch eine Freiheitsstrafe stehen kann, weiß schlicht und einfach: Fahren ohne Fahrkarte lohnt sich nicht. Der Straftatbestand schafft also ein System, das Ehrlichkeit belohnt – und Menschen von vornherein nicht zum Fahren ohne Fahrkarte verleitet.

Was aber ist mit Menschen in Geldnot?

Über einen Punkt haben wir nun noch gar nicht gesprochen. Denn auch wenn es viele gute Gründe gibt, sich einen Fahrkarte zu holen, gibt es immer noch Menschen, die schlicht aus Geldnot ohne einen unterwegs sind. Ist es da zielführend, ihnen mit Strafen zu drohen? Schauen wir uns auch das einmal an.

Grundsätzlich soll es natürlich jeder und jedem möglich sein, am ÖPNV teilzuhaben. Und das System sorgt hier auch weitgehend vor, indem finanziell schwächer Gestellte mit vergünstigten Fahrkarten entlastet werden, etwa mit dem hvv Sozialrabatt, der hvv Mobilitätskarte für Geflüchtete oder den in Hamburg seit neuestem kostenfreien Deutschlandtickets für Schülerinnen und Schüler. Und auch das Bürgergeld sieht einen festen Regelsatz für Mobilität vor.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Trotz dieser Angebote gibt es Menschen, die weiterhin aus finanzieller Not ohne Fahrkarte fahren, und sei es nur, weil sie die obigen Angebote nicht kennen. Und auch wenn die Prüfdienste natürlich immer mit Augenmaß vorgehen, gibt es am Ende regelmäßig auch Menschen, die aus finanziellen Problemen von Strafen betroffen sind.

Fahren ohne Fahrkarte: Fazit mit Bauchgrummeln

Was bleibt ist ein mulmiges Gefühl. In einer perfekten Welt sollte natürlich niemand aus finanzieller Not eine Strafanzeige erhalten. Und dass dies in einigen Fällen dennoch passiert, ist sicher nicht optimal. Gleichzeitig ist die HOCHBAHN aber auf ein System angewiesen, das Menschen nicht im großen Stil zum Fahren ohne Fahrkarte verleitet – und das so letztlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ehrliche Fahrgäste und das ÖPNV-Angebot an sich schützt. Und genau dabei ist das Fortbestehen des Straftatbestands entscheidend und aktuell gibt es für ihn, so die Sicht der HOCHBAHN, keine Alternative.


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4 Kommentare zu: Fahren ohne Fahrkarte: Muss Strafe sein – und wenn ja, welche?

  1. Vielen Dank für den Artikel!

    In einem Punkt würde ich Ihnen widersprechen wollen: Dass engmaschige Kontrollen stören würden.

    Die Anzahl der Fahrkartenkontrollen momentan ist verschwindend gering, und oft wird dann nur an zentralen Punkten wie Wandsbek-Markt kontrolliert. Bin ich mit dem Bus nur auf Teilstrecken unterwegs, die nicht diese Knotenpunkte berühren, ist mit einer Fahrkartenkontrolle quasi nie, höchstens nur alle paar Jahre zu rechnen. Hier könnte viel engmaschiger kontrolliert werden, ohne dass die Geduld der fahrenden Fahrgäste strapaziert wäre.
    Und auch das Einsteigen beim Busfahrer und Vorzeigen der Fahrkarte, damals schon nur halbherzig durchgesetzt, ist mit Corona klammheimlich wieder beendet worden – warum? Auch hier könnte man m.E. eine höhere Kontrolldichte erreichen.

  2. Wer fährt den schwarz? Wer sind denn die 4,6 Prozent? Warum fahren sie ohne Fahrschein? Vergessen? Am Bahnhof ratlos vor dem Automaten gestanden? Das Geld auf dem Kiez gelassen oder auf dem Dom? Ab dem 15. eines Monats kein Geld mehr um die Enkelin aus dem Kindergarten mit der Bahn abholen zu können? Obdachlos? Jugendlich-draufgängerisch? Krank?

    Könnt ihr da aufklären? Gibt es Statistiken, Untersuchungen, Studien?

    Danke!

    1. Hallo Tarkan! Die HOCHBAHN erhebt nicht die Gründe, warum Menschen ohne Fahrkarte gefahren sind. Und ehrlicherweise entschuldigen sie ja auch nicht das Verhalten: Wer sein Geld auf dem Kiez gelassen hat, hat damit keinen „Freifahrtschein“, kostenlos Bahn zu fahren. Ich finde da den Vergleich zum Supermarkt hilfreich: Dort können Menschen sich auch nicht einfach ohne zu zahlen bedienen, weil der Monat gerade dem Ende zugeht oder weil sie das Portemonnaie vergessen haben. Natürlich kann die Hochbahn-Wache in Einzelfällen ein Auge zudrücken und tut das regelmäßig auch. Grundsätzlich ist aber niemand frei von der Fahrkartenpflicht.

  3. Der ÖPNV ist, wie der Name schon sagt, eine öffentliche Einrichtung. Die Kosten dafür sind, genau wie die Kosten für Justiz und Exekutivorgane, aus der öffentlichen Hand zu tragen.
    Durch die Einstufung des Schwarzfahrens als Straftat entstehen enorme Kosten bei den Organen der Rechtspflege, gleichzeitig ist eine abschreckende Wirkung nur sehr begrenzt vorhanden (nämlich maximal bei den vorsätzlichen Schwarzfahrenden, die problemlos ein Ticket hätten kaufen können). „Es ist schlicht nicht sinnvoll, dass alle zahlenden Fahrgäste die Gefängnisaufenthalte der Schwarzfahrenden finanzieren“ könnte man überspitzt auch formulieren.

    Schwarzfahren muss als Ordnungswidrigkeit behandelt werden und die öffentliche Subvention des ÖPNV aus den frei werdenden Mitteln massiv gestärkt werden, alles andere steht in meinem Augen einer notwendigen, schnellen Verkehrswende massiv im Weg.

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