Von Fahrgastzahlen zur Angebotsplanung – Angebot und Nachfrage

Ein normaler Morgen an einem Tag dieser Woche. Ich bin spät dran, die U3 voll. Während ich da so zwischen vielen anderen stehe, kommt mir der Gedanke, dass ich gerade einer der 443 Mio. Fahrgäste im Jahr bin und dass das echt ganz schön viel ist.

Aber woher wissen meine Kollegen eigentlich, wann und wo wie viele Leute unterwegs sind? Und woher, ob überhaupt genug Platz für all‘ diese Menschen ist.

Fahrgastzählung zeigt uns die Nachfrage

Wir zählen Fahrgäste natürlich nicht einfach nur zum Spaß. Zum einen weiß der HVV dadurch, wie viel der Fahrgeldeinnahmen wir bekommen, und noch wichtiger, wir wissen nur so, wo wie viele Leute in welchen Fahrzeugen unterwegs sind und ob unser Platzangebot für diese Nachfrage ausreicht.
Heißt ganz genau: wir zählen unsere Fahrgäste ständig. Rund 20% unserer Busse und U-Bahnen sind mit automatischen Zählsystemen ausgestattet. Hinzu kommen manuelle Zählungen und Befragungen zu den Wegen, die Fahrgäste zurück legen. Wie die Zählung genau funktioniert, habe ich hier in einem früheren Beitrag schon mal beschrieben.

Die Auswertung dieser Zahlen findet einmal im Jahr statt und ist quasi der Auftakt der Angebotsplanung für den Fahrplanwechsel. Dafür werten die Angebotsplaner die Daten von jedem Zug in jedem Abschnitt seiner Fahrt aus.

Denn das ist die Ausgangsfrage: Wie viele Leute sind wann und wo in unseren Zügen unterwegs?

Baustein Nummer 1: Die Anzahl der Fahrgäste

Durch die Fahrgastzählung wissen wir also, wie viele Leute mit unseren Zügen fahren. Nun wäre es ja schön, wenn immer gleich viele Leute zur gleichen Zeit zum gleichen Ort unterwegs wären. Die Realität sieht aber anders aus: da spielt das Wetter eine Rolle, man ist mal krank oder hat Urlaub, oder auch eben wechselnde Zeiten und Ziele, zu denen man fährt. Dies alles kann zu erheblichen Schwankungen der Nachfrage führen. Ich kann also immer zur selben Zeit mit der Bahn fahren, sie wird aber nie genau gleich voll sein.

Dazu kommen „Bahnsteigoptimierer“. Also diejenigen, die dort einsteigen, wo sie am Ziel aussteigen müssen. Das Ergebnis: eine ungleichmäßige Auslastung der Züge. Es kann also sein, dass sich in meinem Wagen die Leute drängen und im nächsten finden noch viele einen Sitzplatz. Das Platzangebot im ganzen Zug ist dann also noch ausreichend, auch wenn es für mich im vollen ersten Wagen schon total überfüllt ist.

In den Hauptverkehrszeiten wird es natürlich im ganzen Zug voll, denn alle wollen gefühlt gleichzeitig zur Arbeit oder nach Hause. Auf diese Spitzenzeiten sind wir jedoch vorbereitet. Der Takt wird verdichtet, es werden längere Züge eingesetzt und Verstärker fahren. Mehr als vier Züge in 10 Minuten geht allerdings nicht, weil es sonst schlichtweg Stau gibt.

Die größte Herausforderung der Angebotsplanung ist also eigentlich, dass das Fahrgastaufkommen von Tag zu Tag schwankt. So muss mit „Kapazitätspuffern“ geplant werden, die möglichst gezielt Ausschläge nach oben abfangen. Dies erfordert aber natürlich zusätzliche Züge, zusätzliches Personal, kostet mehr Geld und bedeutet einen höheren Energieverbrauch. Diese Angebotspuffer müssen also immer auch im Verhältnis zwischen Wirtschaftlichkeit und vertretbarer Platzqualität stehen. Für immer freie Sitzplätze würde man also an vielen Zeitpunkten am Tag unnötig viel „Luft“, also leere Züge hin und her fahren.

Baustein Nummer 2: Die Kapazität der Züge

Jeder Zugtyp hat nun von Hause aus unterschiedlich viel Platz. Also unterschiedlich viele Sitz- und Stehplätze. Hinzu kommt die Fahrzeuglänge. Ein Zug mit 120 Metern Länge hat logischer Weise mehr Platz als ein 90 Meter Zug. Auf der U3 z.B. können wir aber eben nur 90 Meter Züge einsetzen, weil es dort noch einige solch kurzer Bahnsteige gibt.

Die Kapazität ist aber auch rechnerisch unterschiedlich hoch, weil die mit dem HVV vertraglich vereinbarten Qualitätsvorgaben zu beachten sind. Diese geben uns vor, wie hoch der Anteil der sitzenden Fahrgäste im Zug zu welcher Uhrzeit und an welchem Ort mindestens sein muss. Kompliziert wird es hier, weil sich diese Vorgaben den Tag über verändern. Abends und nachts müssen zum Beispiel möglichst viele Sitzplätze verfügbar sein, in den Hauptverkehrszeiten dagegen sind viele Stehplätze zulässig (um die höhere Nachfrage bedienen zu können).
Genauer heißt das: morgens um 8 ist die Kapazität in einem Zug der U3 am Berliner Tor höher als im selben Zug um 8 Uhr abends. Weil die Nachfrage morgens  nämlich höher ist, also mehr Leute einsteigen wollen, passen sich die Vorgaben des HVV daran an.

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4 Kommentare zu: Von Fahrgastzahlen zur Angebotsplanung – Angebot und Nachfrage

  1. Was mich mal interessieren würde … Werden die Anfragen aus der Fahrplanauskunft, die Käufe vom Handy- und Onlineticket oder aber auch die Standorte von Proficard-Unternehmen anonym und im Hintergrund ausgewertet? Kann man damit den Bedarf nicht noch genauer ermitteln und bei erhöhtem Komfort auch noch Kosten sparen?
    Wenn dann noch andere relevante Daten (z.B. Wetter, Events, Ferien in und um Hamburg, …) dazukommen, müsste die Wahrscheinlichkeit zu leerer bzw. zu voller Züge doch zurückgehen. Auch die Busfahrer_innen und ihre unglaublichen Erfahrungswerte beim Kundenkontakt halte ich auch als Daten für sehr wertvoll.

  2. Vielen Dank für diesen interessanten Einblick. Insbesondere die HVV-Vorgaben waren mir nicht bekannt.

    Nur eine sprachliche Anmerkung sei mir gestattet: 90 Meter Zug sind nicht zwangsläufig dasselbe wie ein 90-Meter-Zug. Die (einzig richtige) Schreibung mit Bindestrichen ermöglicht hier eine klare Zuordnung (gemeint dürfte ja wohl das letzte sein). 😉

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