Statt 1,8 Mrd. Euro wird das erste Stück der U5 von Bramfeld in die City Nord aller Voraussicht nach 2,8 Mrd. Euro kosten. 60 Prozent mehr – nicht gerade wenig, um es mal vorsichtig auszudrücken. Kostensteigerungen bei öffentlichen Projekten sind durchaus häufiger zu beobachten, auch wenn sie nicht so spektakulär sind wie seinerzeit bei der Hamburger Elbphilharmonie. Dennoch muss auch bei der U5 die Frage gestellt werden: Haben die Planer*innen falsche Annahmen getroffen? Ist das Projekt doch aufwendiger als ursprünglich gedacht? Oder ist es die Inflation, die wir alle jeden Tag zu spüren bekommen? Und eine Frage, die nach vorne entscheidend sein wird: Wird sich der Bund trotz der Kostenexplosion weiter an den Projektkosten beteiligen oder bleibt Hamburg jetzt auf der kompletten Rechnung sitzen?
Wie werden die Kosten überhaupt ermittelt?
Aus der Elphi hat Hamburg gelernt, dass Planungen anders laufen müssen. Hamburg hat sich auf den „Grundsatz des kostenstabilen Bauens“ festgelegt, der bei jedem öffentlichen Bauprojekt angewendet werden muss. Hier werden neben den Bau- und Baunebenkosten (zu den Nebenkosten gehören z. B. Kosten für Planung, Genehmigungen, Gutachter) auch erwartete Preissteigerungen über die Laufzeit des Projektes berücksichtigt.
2019 wurde für das U5-Projekt – wie es das Verfahren vorsieht – die durchschnittliche Preisentwicklung der letzten 10 Jahre berechnet und daraus für die Zukunft eine prognostizierte Preissteigerung von 2,3 Prozent pro Jahr abgeleitet. Da 2017 und 2018 aufgrund der exzellenten wirtschaftlichen Lage die Baupreise schon anzogen, wurde für die ersten drei Jahre mit 3,9 Prozent eine sogar noch höhere Rate berücksichtigt. Damit war alles mit drin, was zum Zeitpunkt 2019 absehbar war. Und in der Summe war man bei den knapp 1,8 Mrd. Euro.
Ursprüngliche Annahmen zur Preissteigerung (Basis: 2019)
Was in der Planung 2019 nicht berücksichtigt wurde, weil es nicht abzusehen war, waren zwei Krisen, die unsere Welt deutlich verändert haben: zunächst die Corona-Pandemie, die zu Unterbrechungen und Ausfällen in den Lieferketten und damit zu deutlichen Preissteigerungen führte. Bevor die Folgen sich wirklich abgeschwächt hatten, griff Putin die Ukraine an. Den Effekt haben wir alle spüren können und spüren ihn immer noch. Zunächst explodierten die Energiepreise, danach auch alle weiteren – auch die fürs Bauen. Diese Baukosten stiegen allein 2022 um 16 Prozent – eine Steigerung, die es in den letzten 50 Jahren in Deutschland nicht annähernd gab.
In der aktuellen Berechnung sind die Planer*innen also schlicht drei Jahre weiter (und mit den Effekten von Corona und Putin konfrontiert). Rechnet man im April 2023 wieder den Durchschnitt der letzten 10 Jahre aus, landet man bei einer Inflationsrate von 4,8 Prozent (und nicht mehr 2,3 Prozent wie 2019). Und diese Rate wird bei dem Projekt für die Jahre ab 2025 angenommen, um auf der sicheren Seite in der Kostenkalkulation zu sein. Nur für die Jahre 2023 und 2024 gibt es von Wirtschaftsforschungsinstituten Prognosen, die eingesetzt werden können.
Neuberechnung der Inflationserwartung (Basis: April 2023)
Erstes Fazit: Die aktuellen Ausschreibungen haben die Planungen bestätigt. Der Bau ist so umsetzbar, wie er geplant wurde. Lediglich übliche Plananpassungen wie z.B. Forderungen nach Nachbesserung aus dem Planfeststellungsverfahren (das ist das Genehmigungsverfahren für größere Infrastruktur-Vorhaben) mussten ergänzt werden. Aber das sind eher zu vernachlässigende Effekte. Die Kostensteigerungen bei der U5 sind vielmehr fast ausschließlich durch die Preissteigerungen zu erklären, die auf die Corona-Pandemie und die steigenden Energiepreise in der Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine zurückzuführen sind oder von denen man für die künftigen Jahre ausgehen muss. Das macht es insgesamt zwar nicht besser, aber zumindest hat die Kostenexplosion nichts mit unsolider Planung zu tun. Außer jemand hätte 2019 die berühmte Glaskugel besessen und Corona und Putins Aggressionskrieg vorhergesehen.
Was bedeutet das für die Steuerzahler*innen und Hamburg?
Das U5-Projekt wird aller Voraussicht nach durch den russischen Angriff auf die Ukraine am Ende teurer als 2019 angesetzt. Auch Hamburg wird mehr Steuergelder dafür aufwenden müssen. Bleibt die Frage, ob Hamburg auf den Preissteigerungen, wenn sie denn so kommen, alleine sitzen bleibt oder – noch schlimmer – der Bund sich komplett zurückzieht und sich nicht mehr an den Kosten des Gesamtprojekts beteiligt.
Der Bund kann bei solchen Projekten bis zu 75 Prozent der Kosten tragen. Bei der U4 auf die Horner Geest hat der Bund die höchstmögliche Förderung schon bewilligt. Das ist natürlich auch für die U5 das Ziel. Wie sieht es dabei jetzt aus?
Hier die Entwarnung zuerst: Die Inflation hat keine Auswirkungen darauf, ob das Projekt “förderfähig” ist oder nicht. Noch besser: Auch von den möglichen Inflationskosten trägt der Bund bei einer Förderung bis zu 75 Prozent. Hamburg müsste im Idealfall also nur 25 Prozent der Kostenexplosion tragen (und auch nur ein Viertel der Gesamtkosten).
Aber – so einige kritische Stimmen – man wisse ja noch gar nicht, ob der Bund das Projekt überhaupt fördere. Tatsächlich ist der Förderbescheid noch nicht erteilt. Aktuell ist der Antrag noch beim Gutachter. Nach Prüfung durch die HOCHBAHN und die federführende Verkehrsbehörde soll er im September beim Verkehrsministerium eingereicht werden. Aufgrund der engen Abstimmung in diesem Verfahren zwischen HOCHBAHN, Hamburg und dem Bund sind die Fachleute vor Ort sehr zuversichtlich: der Bund wird das Projekt fördern und der Bescheid wird noch in diesem Jahr kommen.
Bleiben noch zwei Fragen zum Schluss.
Frage 1: Wer sagt denn, dass es nicht noch teurer wird? In Wahrheit kann das niemand mit absoluter Sicherheit vorhersagen. Aber helfen kann hier ein Blick auf die letzten 50 Jahre. Ruhig waren die Jahre auch nicht: Ölkrise, deutsche Wiedervereinigung, Weltfinanzkrise, um nur einige Themen zu nennen. Folie 3 zeigt hier die Entwicklung der relevanten Baupreise, die über die letzten 50 Jahre im Durchschnitt um 2,2 Prozent stiegen. Mit den jetzt für die U5 angenommenen 4,8 Prozent liegt das Projekt mit seinen Prognosen deutlich darüber und – wenn man sich die wenigen Jahre anschaut, in denen die Inflation höher war – auf der (relativ) sicheren Seite.
Folie 3: Preisentwicklung im Vergleich zum Vorjahr
Frage 2: Was wäre denn die Alternative? Vor 50 Jahren führte die erste Ölpreiskrise Anfang der 70er Jahre zum Aus der durchaus ambitionierten damaligen Hamburger Schnellbahnpläne. Lurup wartet immer noch auf die Schnellbahn, Bramfeld und Steilshoop ebenso – und die MetroBus-Linien 4, 5, 6 und 17 platzen aus allen Nähten. Will man diesen Fehler wirklich wiederholen? Ich glaube, das kann sich Hamburg schlicht nicht leisten. Für die Mobilitätswende braucht es die U5. Und sind wir mal ehrlich: Es wird ja niemand ernsthaft wollen, dass Putin über die Infrastrukturpläne und damit die Zukunft Hamburgs entscheidet – oder?
P.S. Dem Thema der Stadtbahn werden wir in Kürze einen eigenen Blogbeitrag widmen, also bleibt dran 😉.
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Die Entscheidung. Russland zu boykottieren hat der Westen bzw. Deutschland selbst getroffen. Die damit verbundenen Folgen wie zum Bsp. die hohe Inflation (die im übrigen gerade am abklingen ist) hat man daher selbst zu verantworten. Da der Autor so derartig russophob eingestellt ist und meint, Russland allein die „Schuld“ für den Konflikt in der Ukraine geben zu müssen, nur ein Hinweis: Ich kann mich nicht erinnern, daß man beim Syrien- oder auch beim Irakkonflikt den USA die Verantwortung für damalige Preissteigerungen bzw. Wirtschaftskrisen gegeben hat.
Im übrigen sinkt doch die Inflationsrate bereits wieder. Wie kommt es dann trotzdem zu einer Gesamtsteigerung von 62%? Und waren in den 1.8 Mrd. nicht eh schon 350mio an Inflationsrisiko inkludiert?
Aus unserer Sicht gibt es einen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die politische Antwort der vielen demokratisch-legitimierten Staaten war ein Boykott aufgrund des Angriffskrieges. Damit ist für uns die „Schuldfrage“ eindeutig geklärt.
Bei den inflationsbedingten Kostensteigerungen handelt es sich zum einen um jetzt schon eingetretene höhere Kosten und die für die Jahre bis zur Fertigstellung noch zu erwartenden Preissteigerungen. Die hat die Hochbahn mit 4,2 % angesetzt – deutlich höher als der langfristige Durchschnitt von 2,2 %. Die 60 % resultieren aus der Langfristigkeit des Projektes und des „Zinseszinseffektes“ bei der Preisentwicklung. Die in 2019 angenommenen, weil wahrscheinlichen Inflationsrisiken wurden mit 311 Mio. Euro angesetzt und mit denn neuen Daten auf 1,1 Mrd. erhöht. Ob diese Mehrkosten tatsächlich eintreten, ist noch nicht klar.