U1-Zweiglinie nach Ohlsdorf – die Zukunft mitgedacht seit 1914

Mit der Eröffnung der Ringlinie im Februar 1912 beginnt in Hamburg das U-Bahn-Zeitalter. Von Anfang an ist klar, dass das U-Bahn-Netz ausgebaut werden soll, um weitere Stadtteile anzubinden, damit mehr Hamburgerinnen und Hamburger Zugang zum modernen Nahverkehrsmittel erhalten. Eine der drei vom Ring abzweigenden Linien ist die U1-Verbindung nach Ohlsdorf, die am 1. Dezember 1914 eröffnet wird. Schon damals spielt auf dieser Linie die Stadtentwicklung eine herausragende Rolle – bis heute. 

Die beiden Zweiglinien nach Eimsbüttel und Rothenburgsort (eröffnet 1915) folgten der Grundidee der Hamburger U-Bahn: Die Menschen in den dicht besiedelten Arbeiterstadtteilen erhalten einen Zugang zum hochmodernen Verkehrsmittel und damit eine schnelle Verbindung in weite Teile Hamburgs, etwa in die Innenstadt oder zum Hafen. 

Die verschiedenen U-Bahn-Linien in der Planung
Planung zur Ringlinie und den Zweiglinien, 1905

Das bietet die Verbindung nach Ohlsdorf zwar auch, schließlich kann an der Haltestelle Kellinghusenstraße in die Ringlinie umgestiegen werden. Allerdings geht es grundlegend eigentlich um etwas anderes: Der Fokus liegt auf der künftigen Entwicklung der bisher eher dünn besiedelten Gebiete entlang der gut 5 Kilometer langen Trasse. Denn mit Ausnahme des Winterhuder Markplatzes, des noch beschaulichen Alsterdorfs und der wenigen Bebauung in Ohlsdorf selbst, finden sich dazwischen fast nur Wiesen und Felder. 

Schon beim Bau der Haltestelle Kellinghusenstraße wird die künftige Verbindung nach Ohlsdorf eingeplant und die Anlage entsprechend mit zwei Bahnsteigen realisiert, obwohl die politischen Beratungen über die Zweiglinie noch laufen. Bei der Eröffnung der Ringlinie im Februar 1912 bleiben die beiden mittleren Gleise dann noch ungenutzt. Und auch auf den Brücken über die Kellinghusenstraße liegen keine Gleise. Denn die Bauarbeiten an den Erdwällen, Brücken und den vier Haltestellen beginnen erst kurz darauf, können aber nach gut zweieinhalb Jahren beendet werden. 

Dort wurde an der Kellinghusenstraße im Jahr 1912 umgestiegen.
Die Umsteigehaltestelle Kellinghusenstraße, 1912

Am 1. Dezember 1914 geht die 3 Millionen Mark teure Strecke mit den Haltestellen Hudtwalckerstraße – gegenüber befindet sich direkt an der Alster seit den späten 1850er Jahren mit dem „Winterhuder Fährhaus“ eines der beliebtesten Tanzlokale Hamburgs –, Lattenkamp, Alsterdorf und Ohlsdorf schließlich in Betrieb. Die neue U-Bahn erschließt nicht nur das mittlere Alstertal, sondern bindet auch den Ohlsdorfer Friedhof – immerhin der größte Parkfriedhof Europas und das grüne Naherholungsgebiet Hamburgs – gleich mit an. Und, wie sich in den kommenden Jahren zeigt, hilft das moderne Verkehrsmittel tatsächlich bei der weiteren Erschließung und Bebauung. So entsteht etwa ein Großteil der bis heute prägenden Backsteinbebauung zwischen dem Winterhuder Markplatz, dem Stadtpark und der Haltestelle Lattenkamp Anfang der 1920er Jahre. Die U-Bahn gibt einen starken Impuls, weitere Areale zu erschließen. 

Die Haltestelle Hudtwalckerstraße während der Bauzeit.
Blick auf die in Bau befindliche Haltestelle Hudtwalckerstraße, 1913. 

Für die Zukunft eingebaut – die Haltestelle Sengelmannstraße

Gut 50 Jahre später wird die Strecke erneut Teil der stadtplanerischen Gesamtkonzeption: Das einst als modern empfundene, autogerechte Stadtbild der City Nord soll nun eine zeitgemäße Verkehrsanbindung erhalten. Und natürlich fiel die Wahl wieder auf das Erfolgsmodell U-Bahn! In die U1 wird Anfang der 1970er Jahre also eine neue Haltestelle eingebaut: Die U Sengelmannstraße. Ab dem 26. September 1975 bietet die Haltestelle dann für die 20.000 Menschen, die in der City Nord arbeiten, eine verlässlich getaktete und staufreie Nahverkehrsanbindung.  

DIe Haltestelle Sengelmannstraße im Bau.
Blick von der in Bau befindlichen Haltestelle Sengelmannstraße in die City Nord, 1975

Die Zukunft wird dabei gleich mit geplant. Denn, wie einst schon an der Kellinghusenstraße, entstehen im Voraus zwei Bahnsteige, um das Umsteigen von der U1 in die damals noch in Planung befindliche U4 zu ermöglichen. Diese ist als Querverbindung von der City Nord und Winterhude über Altona bis nach Lurup angelegt. Allerdings geht es über die Planungen nicht hinaus: In Folge der Ölkrise 1973 und der Wirtschaftskrise der späten 1970er und frühen 1980er Jahre sind die städtischen Kassen leer, zugleich schrumpft Hamburg zwischen 1970 und 1979 um fast 200.000 auf nur noch 1,65 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Für die U4 fehlen nicht nur die finanziellen Mittel, auch der Bedarf für eine neue U-Bahn-Linie scheint nicht mehr zu bestehen. Übrig bleibt ein ungenutzter Bahnsteig an der Sengelmannstraße, der nun nach Jahrzehnten im Dornröschenschlaf fit gemacht wird für den Netzausbau der Zukunft und die Nutzung durch die U5. 

Letztlich ist die Verbindung zwischen Kellinghusenstraße und Ohlsdorf also nicht nur eine „normale“ U-Bahn-Strecke. Nicht nur, dass an beiden Haltestellen wichtige Umsteigepunkte entstanden sind, die wesentlich zu einer Vernetzung der Verkehrsströme beigetragen haben. Seit ihrer Eröffnung ist die heutige U1 auf dem Abschnitt der Zeit immer ein Stück voraus und seit dem Bau der U5 an der Haltestelle Sengelmannstraße wieder ein wesentlicher Teil der Nahverkehrszukunft Hamburgs. 

Die künftige U5-Haltestelle Sengelmannstraße von oben.
Luftaufnahme Sengelmannstraße Baustelle U5 heute.

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9 Kommentare zu: U1-Zweiglinie nach Ohlsdorf – die Zukunft mitgedacht seit 1914

  1. Dank für den zuverlässigen und eng getakteten Nahverkehr in Hamburg. Das ist wirklich toll. Und der Artikel ist auch sehr spannend, gerade auch in Bezug auf die aktuellen Herausforderungen.

    Die Hbf-Zentriertheit des schienengebundenen Verkehrs ist meiner Ansicht nach suboptimal.

    Ein Halbring aus Nord-Osten nach Süd-Westen, wie als U4 im Text beschrieben, wäre durchaus angebracht. Ich habe gerade eine tolle Stelle abgesagt, unter anderem weil ich von Bramfeld nicht unter einer Stunde nach Stellingen komme.

    Die fehlende Anbindung der jetzt im Bau befindlichen U5 an die S-Bahn (City Nord) ist auch nicht unbedingt ein Zeichen der im Text mehrfach erwähnten historisch weitblickender Planung.

    Zum Thema Fahrgastbefragung: Ein potentielles Ergebnis einer solchen um 1910 über den Bedarf einer U-Bahn nach Ohlsdorf liegt m. E. auf der Hand: Zu wenig Bedarf – bauen wir nicht.

  2. Hallo Michael Kahnt,
    ja, das ist die alte Bahnsteigüberdachung der Vorortbahn (heute S1). Wenn Sie das Bild vergrößern und durch das damalige Reiterstellwerk der Hochbahn hindurch schauen, sehen Sie auch einen der Wechselstrom-Triebwagen der BR ET99 der S-Bahn und die alte Oberleitungsanlage. Im Museum Lokschuppen Aumühle können Sie auch einen solchen restaurierten zweiteiligen Triebzug besichtigen.

    Liebe Hochbahn-Onlineredaktion, es ist immer wieder schön, von euch auch solche historischen Beiträge mit altem Bildmaterial zu lesen. Danke!

    Allen eine schöne Adventszeit!

    1. Ich meine natürlich den Glaspalast mit „alte Bahnsteigüberdachung der Vorortbahn“. Das davor ist natürlich der Hochbahn-Bahnsteig mit seiner alten Überdachung.
      Interessant ist aber auch, dass offenbar ein zweiter Bahnsteig für die U-Bahn gebaut werden sollte. Wisst ihr näheres über dieses Projekt? Sollte da noch eine weitere Linie abzweigen oder war diese Erweiterung für endende Züge, wie bei Saarlandstraße, bestimmt?

  3. Im Innenstadtbereich wird in der U1 wieder viel mehr gebettelt. Bitte verstärken Sie schnell die Präsenz von Hochbahn-Mitarbeitern, bevor es wieder so schlimm wird. Inzwischen wieder jeden morgend und Abend die gleiche Leier… so macht ÖPNV kein Spaß! Ich fühle mich einfach nur unwohl.

    1. Das Problem, dass sich Fahrgäste davon gestört fühlen, ist der HOCHBAHN bewusst. Deshalb wurden erst vor Kurzem auch die Maßnahmen angepasst, um das Bettelverbot konsequenter durchzusetzen. Das bedeutet auch, dass die Hochbahn-Wache bettelnde Personen heute verstärkt anspricht und ggf. bittet, die Haltestelle zu verlassen. Gleichzeitig können die Kolleginnen und Kollegen bei über 1.000 km Streckennetz aber natürlich nicht überall gleichzeitig sein. Wie wir mit der Situation umgehen, erkläre ich in diesem Beitrag ganz genau.

  4. Toller Beitrag. Vielen Dank. So wird Geschichte wieder lebendig.
    Ein Frage zum Bild zu Beginn des Beitrages. Das Foto zeigt die Haltestelle Ohlsdorf. Können Sie dazu etwas mehr sagen? Ist das der Bahnsteig der S-Bahn? Und was ist das für eine hohe Glasfront direkt daneben?

    1. Das ist der Bahnsteig der U-Bahn, gut zu erkennen u.a. an der seitlichen Stromschiene. Die S-Bahn wurde zum Aufnahmezeitpunkt noch mit Wechselstrom aus der Oberleitung betrieben. Die Glasfront ist die Seitenwand der ehemals dort vorhandenen Bahnsteighalle des S-Bahnhofs.

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