Beton und Hasen: Wie die U Mümmelmannsberg zum Aufbruch in eine menschengerechte Stadt wurde

Heute kaum noch vorstellbar, aber die Stadtentwicklung der 1960er Jahre folgte der Prämisse der autogerechten Stadt. In der Folge entstanden in Hamburg drei Großwohnsiedlungen sowie die Bürostadt City Nord – zugeschnitten auf den Individualverkehr, ohne ausreichende ÖPNV-Anbindung. Erst 1990 erhält Mümmelmannsberg endlich einen U-Bahn-Anschluss – und wird so zum Vorbild bei der Mobilitätswende! 

U-Bahn-Bau ist ein wesentlicher Bestandteil der Stadtentwicklung. Das galt schon 1912 bei Inbetriebnahme der Ringlinie, Hamburgs erster U-Bahn und insbesondere für die folgenden Zweiglinien, die etwa dichtbewohnte Arbeiterquartiere in Eimsbüttel oder die Walddörfer an den modernen ÖPNV anschließen. Die Auffassung davon, wie moderne Stadtentwicklung und damit eine gute Mobilität aussehen soll, unterliegt naturgemäß aber immer neuen Einflüssen und Ideen – und so erfährt sie nach Ende des zweiten Weltkriegs einen tiefgreifenden Wandel. 

Autogerechtes Hamburg 

In den 1950er Jahren wird das Auto zum gesamtgesellschaftlichen Sinnbild: Es steht für wirtschaftlichen und technischen Fortschritt sowie persönlichen Wohlstand – kurz: das moderne Leben. Und das Auto wird auch zum prägenden Element der Stadtplanung. Der Wiederaufbau kriegszerstörter Städte und deren Modernisierung folgt dem Leitbild der autogerechten Stadt,  die streng auf die Bedürfnisse des motorisierten Individualverkehrs ausgerichtet ist. Die wesentlichen Bereiche Wohnen, Arbeiten, Erholen werden räumlich und baulich getrennt und durch eine effiziente Straßenstruktur verbunden, die einen ungehinderten Verkehrsfluss für das Autos ermöglichen soll. 

In Hamburg wird dieses Konzept städtebaulich ebenfalls deutlich sichtbar: Es werden große Durchgangs- und Ausfallstraßen sowie Ringe – kleinere Stadtautobahnen – gebaut. Nördlich des Stadtparks entsteht ab 1961 auf 117 Hektar, die mit Kleingärten und Behelfsheimen bebaut sind, bis 1974 die City Nord. Diese Geschäftsstadt bietet in verschiedenen Bürokomplexen rund 28.000 Arbeitsplätze in mehr als 300 Unternehmen aber keinen Wohnraum. 

Osdorfer Born, Steilshoop, Mümmelmannsberg – Wohnen ohne U-Bahn 

Die Großwohnsiedlungen in Steilshoop aus der Vogelperspektive!
Bauarbeiten an den Hochhausringen in Steilshoop

Dieser wird, quasi als Gegenstück, in drei sogenannten Großwohnsiedlungen am Stadtrand geschaffen. Sie bieten ihrer Bewohnerschaft nicht nur Wohnraum, es gibt auch Schulen, Kindergärten, Arztpraxen und Einkaufszentren, eben alles, was zum Leben vor Ort benötigt wird. Nur zum Arbeiten muss die Siedlung verlassen werden. Im Westen Hamburgs wird ab 1960 der Osdorfer Born entwickelt mit Hochhäusern, die bis zu 20 Stockwerke haben. Im nördlichen Teil von Steilshoop, das eigentlich von Einzelhäusern und viel Grün geprägt ist, entsteht ab 1969 Wohnraum in Plattenbauweise. 

Mümmelmannsberg – Satellitenstadt im Grünen 

Auf der grünen Wiese im Stadtteil Billstedt wird schließlich zwischen 1970 und 1979 die Großwohnsiedlung in Mümmelmannsberg gebaut. So entstehen 7.200 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, vor allem aber in Hochhäusern für mehr als 24.000 Bewohnerinnen und Bewohner. 

Der Transport von Baustellenteilen im Jahr 1987.
Transport von Teilen des Vortriebsschilds zur Baustelle, 1987

Gemein haben alle drei Großsiedlungen die Ausrichtung auf das Auto: Es entstehen umfassende Straßen und viel Parkraum. Was es damals nicht gibt: eine ausreichende ÖPNV-Anbindung. Lediglich einige Buslinien durchqueren oder streifen die Siedlungen und dienen als Zubringer zu den Schnellbahnen. Auch in den nächsten Jahrzehnten ändert sich daran nichts, und die im Mai 1970 eröffnete Merkenstraße bleibt 20 Jahre lang Endhaltestelle der U2. 

Die Haltestelle Steinfurter Allee im Jahr 1990.
Eröffnung der Haltestelle Steinfurter Allee am 29. September 1990

Umdenken: Eine Stadt für Menschen, nicht Autos 

Ende der 1970er Jahre verändert sich langsam der stadtplanerische Blick auch auf die Großwohnsiedlungen und um 1980 werden dann erste Pläne für einen U-Bahn-Anschluss Mümmelmannsbergs mit zwei Haltestellen geschmiedet. Und dann geht’s schnell: 1983 startet das Planfeststellungsverfahren, am 20. Juni 1984 erfolgt der erste Spatenstich für die 2,9 km lange Tunnelstrecke und ab 1987 werden die beiden unterirdischen Haltestellen gebaut. 

Außensicht auf die Haltestelle Steinfurter Alle kurz nach der Eröffnung 1990.
Die Haltestelle Steinfurther Allee kurz nach ihrer Eröffnung 1990

Eine U-Bahn in Gold und Rosa 

Die Haltestelle Steinfurter Allee entsteht als optisch eher schlicht-funktionales Bauwerk mit P+R-Anlage für Pendlerinnen und Pendler und einer Busumsteigeanlage mit Verbindungen in das östliche Umland. 

Ganz anders die neue Endhaltestelle Mümmelmannsberg, die im Sinne der Postmoderne gestaltet wird. Diese Stilrichtung lehnt bloßen Funktionalismus (wie bei der Haltestelle Steinfurter Allee) ab, vielmehr soll das Bauwerk eine eigene Geschichte erzählen.  

Alles darf und das gerne zusammen: Im Inneren der Haltestelle findet sich ein wilder Mix aus verschiedenen Materialien und Farben. Graue Wandflächen wechseln mit rosafarbenen Wandfliesen und reflektierenden Goldfolien. Und von den Wänden sehen kleine Keramik-Hasen den Fahrgästen beim Warten auf die U-Bahn zu. Letztere natürlich als Anlehnung an die namensgebenden Erzählungen vom Hasen Mümmelmann von Hermann Löns. So ist die Haltestelle Mümmelmannsberg ein Gesamtkunstwerk und ein bewusstes Gegenbild zur vom Beton geprägten Umgebung. 

Innenansicht der Haltestelle Mümmelmannsberg im Jahr 2008.
Die Bahnsteighalle Mümmelmannsberg, 2008

U Mümmelmannsberg: Vorbild für die Mobilitätswende 

Mit der Inbetriebnahme der Verlängerung am 29. September 1990 haben nun fast 24.000 Menschen in Mümmelmannsberg und 6.000 im weiteren Einzugsgebiet einen direkten U-Bahn-Anschluss. Dass dieser gerne genutzt wird, zeigen die mehr als 17.000 Fahrgäste, die hier täglich unterwegs sind. Mümmelmannsberg ist die erste Großwohnsiedlung mit einem U-Bahn-Zugang. Doch es bleibt nicht die letzte, denn die anderen folgen: Mit der U5 erhält Steilshoop ebenfalls eine U-Bahn.Und für die Verlängerung der U5 in den Osdorfer Born laufen gerade die Planungen an. Der Weg in eine menschen- statt autogerechte Stadt geht also weiter – und wir werden hier weiter berichten! 


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